Die Radiologie hat sich durch Digitalisierung und Künstliche Intelligenz (KI) grundlegend gewandelt. Neue Technologien optimieren die Patientenversorgung, Forschung und Lehre. Eine zunehmende Vernetzung bringt universitäre Kompetenz in die Fläche, versorgt teleradiologisch Kliniken und Praxen der Metropolregion Rhein-Neckar und stellt universitäre Expertise zur Verfügung.
Innovative Diagnostik und interdisziplinäre Patientenversorgung
KI-gestützte Software erhöht die Sicherheit bei der Befundung von radiologischen Untersuchungen, beispielsweise bei der Frakturerkennung in Röntgenbildern, und ermöglicht eine Vorselektion von Patienten mit pathologischen Befunden, insbesondere in der Notfallversorgung. In der Kindernotaufnahme (NOKI) wird KI zur Entscheidungsunterstützung im Sepsismanagement eingesetzt, kontinuierlich werden relevante Parameter überwacht und kritische Zustände so frühzeitig erkannt. Die Radiologie nimmt in der Notfallversorgung in Triagierung und Priorisierung eine zentrale Rolle im Diagnose- und klinischen Entscheidungsprozess ein.
Von der Diagnostik zur Therapie
Die interventionelle Radiologie der Universitätsmedizin Mannheim hat sich in den letzten Jahren zur bettenführenden Klinik entwickelt und gemeinsam mit dem Interdisziplinären Gefäßzentrum (IGZ) eine starke Plattform zur Versorgung von Gefäßpatienten geschaffen. Zusätzlich zur Diagnostik bietet die interventionelle Radiologie moderne Therapieansätze, die beispielsweise in der Onkologie gleichwertige und schonende Alternativen zur Chirurgie, Strahlentherapie oder medikamentösen Therapie darstellen können. Robotische Assistenzsysteme und KI-gestützte Bildanalysen erhöhen die Sicherheit der interventionell-radiologischen Verfahren. Mit der Implementierung neuer Gerätetechnologien können zukünftig Interventionen ohne ionisierende Strahlung im Niedrig- und Mittelfeld-MRT angeboten werden.
Effiziente Prozesssteuerung und Organisation
Echtzeit-Datenanalysen ermöglichen eine adaptive Personalplanung und die Steuerung von Patientenströmen. Der zentrumsbasierte Ansatz stärkt die patientenzentrierte Versorgung, indem er eine enge Verzahnung von Diagnostik und Therapie ermöglicht. Beispiele sind das Ambulante Radiologische Zentrum (ARZ), das ISO-zertifizierte Zentrum für Kardiovaskuläre Diagnostik (ZKVB) sowie die interventionelle Radiologie als Kernbereich der bildgestützten Therapie. Die Implementierung eines digitalen Patientenportals komplettiert die Umstrukturierung der Patientenlenkung im ambulanten und stationären Bereich sowie in der Notfallversorgung.
Forschung, Vernetzung und Verwertung mit klinischer Translation
Zunehmende Vernetzung findet über Forschungskooperationen und Private Public Partnerships wie dem M2OLIE Forschungscampus (Mannheim Molecular Intervention Environment) und dem RettungsNetz-5G mit mobiler Schlaganfalleinheit (Mobile Stroke-Unit, MSU) statt. Eine überregionale Kooperation kondensiert die Expertise von fünf Universitätskliniken in Baden-Württemberg in Projekten wie dem Photon-Counting Konsortium (PC3) und AIDA (Advanced Imaging Utilization by Digital Data Application). Durch die enge Verzahnung von Forschung, Klinik und Industrie entstehen neue Möglichkeiten für Start-ups und private Unternehmen. Die erfolgreiche Vermarktung des robotischen Assistenzsystems aus dem M2OLIE-Forschungscampus und somit der Transfer aus der Forschung in die klinische Praxis unterstreicht das Innovationspotenzial.
Das bereits 2001 initiierte Teleradiologienetz Rhein-Neckar verbindet Kliniken und Praxen in erster Linie regional und auf Landesebene, ermöglicht jedoch auch den Austausch von Daten bundesweit und international. Die Universitätsmedizin Mannheim (UMM) übernimmt die radiologische Notfallversorgung an drei Kliniken außerhalb der Regelarbeitszeiten in der Metropolregion Rhein-Neckar. Darüber hinaus können Zweitmeinungen und Konsile bei hoch spezialisierten Experten der UMM eingeholt werden und bei Bedarf kann ohne Zeitverzögerung eine Triage des Patienten in eine geeignete Klinik erfolgen. Zukünftig sollen mittels Remote Scanning hoch qualitative Untersuchungen mit sehr spezieller Fragestellung auch an Standorten außerhalb der UMM möglich sein, die von den erfahrenen MTRs (Medizinische Technologen für Radiologie) der UMM digital begleitet oder durchgeführt werden.
In den letzten fünf bis zehn Jahren hat sich die Radiologie in Mannheim somit zur hoch spezialisierten Klinik entwickelt. Durch modernste Technologie, datenbasiertes Management und die enge Verbindung von Patientenversorgung, Lehre und Forschung wird sie weiterhin exzellente medizinische Versorgung und wissenschaftliche Innovationen in einem universitären Maximalversorgungsumfeld bieten.
Gespräch mit Prof. Dr. med. Hans-Jürgen Hennes, Ärztlicher Direktor der Universitätsmedizin Mannheim, und Prof. Dr. med. Stefan Schönberg, Klinikdirektor für Radiologie und Nuklearmedizin der Universitätsmedizin Mannheim, zur Entwicklung und Vision der Radiologie in der Universitätsmedizin Mannheim.
Der zentrumsbasierte Ansatz
Herr Prof. Hennes, die Umstrukturierung der Radiologie hin zu einem zentrumsbasierten Ansatz war ein zentraler Transformationsprozess. Welche Vorteile ergeben sich für die Patienten und die interdisziplinäre Zusammenarbeit?
Der zentrumsbasierte Ansatz verbessert die Patientenversorgung erheblich, da hoch spezialisierte Teams effizienter zusammenarbeiten. Die Trennung der Patientenströme in Notfallversorgung, ambulante und stationäre Versorgung sorgt für optimale Abläufe vor Ort, angepasst an die jeweiligen Bedürfnisse und Fragestellungen. Die Patienten profitieren von kürzeren Wegen, schnelleren Diagnosen und dem direkten Zugang zu interdisziplinären Behandlungen. Zudem fördert die zentrumsbasierte Aufbaustruktur eine enge Zusammenarbeit zwischen den Fachdisziplinen, beispielsweise in der Kinderheilkunde, der Gefäßmedizin und der Notfallmedizin.
Ausbau der Notfallmedizin
Herr Prof. Hennes, die interdisziplinäre Kindernotaufnahme (NOKI) wurde grundlegend modernisiert und mit innovativer KI-Technologie ausgestattet. Welche konkreten Vorteile bringt das für die Patientenversorgung?
Die Echtzeitanalyse mittels KI ermöglicht eine frühzeitige Erkennung von kritischen Zuständen wie einer Sepsis. Unser Child Security System alarmiert das Personal sofort bei auffälligen Parametern, sodass lebensrettende Maßnahmen frühzeitig eingeleitet werden können. Dies erhöht die Patientensicherheit und beschleunigt die Diagnosestellung. Wir erwarten zukünftig ein steigendes Notfallaufkommen, dies bedingt die Notwendigkeit effizienter Prozesse und einer multimodalen Entscheidungsunterstützung in einem interdisziplinären Zentrum.
Interdisziplinäre minimalinvasive Therapie
Herr Prof. Schönberg, die interventionelle Radiologie hat sich in den letzten Jahren stark weiterentwickelt. Welche Rolle spielt sie heute im interdisziplinären Behandlungsansatz?
Minimalinvasive Verfahren sind heute essenziell für eine schonende Therapie. Dank modernster Bildgebung und roboterassistierter Systeme können wir Gefäßerkrankungen, Tumoren und Organerkrankungen präziser behandeln. Der interdisziplinäre Austausch mit Chirurgie, Kardiologie und Neurologie optimiert dabei die Patientenversorgung. Hier können wir gemeinsam die für den individuellen Patienten geeignete Therapie unter Berücksichtigung aller Alternativen festlegen.
Digitalisierung und datengetriebene Softwarestrategie
Herr Prof. Schönberg, die Einführung der Echtzeit-Datenanalyse hat das Klinikmanagement revolutioniert. Welche Verbesserungen konnten Sie durch dieses System umsetzen?
Wir haben jetzt vollständige Transparenz über Auslastung, Wartezeiten und Personalressourcen und können zunehmend proaktiv agieren. Die Echtzeit-Dashboards ermöglichen eine dynamische Steuerung der Patientenströme und eine effiziente adaptive Personalplanung. Dadurch steigern wir die Versorgungsqualität und senken gleichzeitig Kosten. Für die Patienten erhöhen wir so den Komfort und verkürzen die Wartezeiten ohne Qualitätsverlust. Unsere Mitarbeiter werden entlastet, indem wir einen veränderten Personalbedarf sofort erkennen und ohne Zeitverzug entsprechend handeln können.
Universitäre Spezialkompetenzen und Forschungsnetzwerke
Herr Prof. Hennes, die Universitätsmedizin Mannheim ist in zahlreiche Forschungsnetzwerke eingebunden. Welche Bedeutung haben Kooperationen mit der Industrie für die zukünftige Entwicklung der Radiologie?
Unsere Partnerschaften mit Industrie und Forschungseinrichtungen ermöglichen Innovationen wie KI-gestützte Diagnostik und robotische Assistenzsysteme. Dies beschleunigt die Translation neuer Technologien in die klinische Praxis und stärkt unsere Rolle als führendes Zentrum für medizinische Innovation und als Entwicklungspartner für Firmen aus dem Bereich der Medizintechnik. Seit vielen Jahren sind wir beispielsweise an der Erstentwicklung von CT Geräten mit neuen Technologien wie dem Dual Energy oder dem Photon-Counting CT beteiligt und können durch den frühzeitigen Einsatz dieser Technologien in der Patientenversorgung einen sofortigen Benefit für die Versorgung der Region bieten.
Verbesserung der Patientenversorgung durch Künstliche Intelligenz
Herr Prof. Schönberg, wie verändert Künstliche Intelligenz die diagnostische und interventionelle Radiologie?
KI-basierte Systeme helfen uns bei der Bildinterpretation, erhöhen die Diagnosesicherheit und entlasten Radiologen von repetitiven Aufgaben. Wir setzten KI auch zur Entscheidungsunterstützung und Triage ein, Röntgenbilder mit auffälligen Befunden werden zukünftig vorselektiert und Patienten so schneller der geeigneten Behandlung zugeführt. In der Intervention optimieren KI-gesteuerte Assistenzsysteme die Präzision bei minimalinvasiven Eingriffen. Wir können zunehmend Zusatzinformationen aus der Hybridbildgebung und funktionelle Parameter zur Guidance bei Interventionen einsetzen, wir können insgesamt gezielter arbeiten. Auch in der Organisation der Zentren versprechen wir uns Vorteile durch den Einsatz der KI, so soll die Personalplanung hierdurch unterstützt und Personalengpässen prospektiv entgegengewirkt werden.
Ambulantes Radiologisches Zentrum (ARZ)
Herr Prof. Hennes, das Ambulante Radiologische Zentrum wurde neu strukturiert. Welche Verbesserungen ergeben sich für Patienten und das Klinikmanagement?
Durch die Fokussierung eines Standortes auf unsere ambulanten Patienten sowie die Einführung eines digitalen Patientenportals (POLAVIS) wurden Wartezeiten reduziert und die Abläufe effizienter gestaltet. Patienten profitieren von einer schnelleren Terminvergabe und optimierten Behandlungsprozessen. Nach der erfolgreichen Einführung in der Radiologie wird POLAVIS derzeit klinikweit in der UMM ausgerollt.
Notfallversorgung mit Telemedizin und 5G
Herr Prof. Hennes, das RettungsNetz-5G und die mobile Stroke-Unit revolutionieren die Notfallversorgung. Welche Vorteile bietet diese Technologie?
Durch Telemedizin und 5G können wir Schlaganfallpatienten bereits präklinisch am Notfallort diagnostizieren und im nächstgelegenen geeigneten Haus behandeln. Dies spart wertvolle Zeit und verbessert die Prognose erheblich. Durch die Triage der Patienten in Häuser mit der passenden Versorgungsstufe stellen wir eine optimale und ressourcenschonende Behandlung sicher und können die vorhandenen Kapazitäten effektiv nutzen.
Herausforderungen und Chancen des Transformationsprozesses
Herr Prof. Schönberg, welche Herausforderungen sehen Sie in der weiteren Transformation der Radiologie, und wie wollen Sie diese meistern?
Die Integration neuer Technologien erfordert kontinuierliche Schulungen und Anpassungen der Prozesse. Durch enge Zusammenarbeit mit IT, Forschung und Industrie stellen wir sicher, dass Innovationen effizient in die klinische Praxis überführt werden. Wir legen Wert auf Personalentwicklung in multiprofessionellen Teams und die Integration neuer Berufsgruppen wie Physician Assistants (PAs). Ein wichtiges Element ist die Einbeziehung aller Berufsgruppen in die Prozessentwicklung in Teams, um die Akzeptanz der kontinuierlichen Veränderungen für alle Mitarbeiter zu ermöglich. Die Sicherheit und Effizienz unserer Prozesse gewährleisten wir durch ein konsequentes Qualitäts- und Compliance-Management, dies ist besonders relevant im Hinblick auf die immer schneller voranschreitenden Entwicklungen in der Radiologie.
Zukunftsvision der Radiologie in Mannheim
Herr Prof. Hennes, wo sehen Sie die Klinik für Radiologie und Nuklearmedizin in fünf Jahren? Was sind die großen Themen im Transformationsprozess?
Wir wollen die digitale Transformation weiter vorantreiben, KI-gestützte Diagnostik ausbauen und die interdisziplinäre Zusammenarbeit intensivieren. Ziel ist eine datengetriebene, patientenzentrierte Radiologie auf universitärem Spitzenniveau. Mit dem Transformationsprozess hat die Klinik für Radiologie und Nuklearmedizin einen großen Anteil am gesamten Verbesserungsprozess der Patientenversorgung in der Universitätsmedizin Mannheim.