Der Forschungscampus M²OLIE (Mannheim Molecular Intervention Environment) ist einer von neun Flaggschiff-Initiativen des Bundesministeriums für Forschung aus der Hightech-Strategie. Mit dem Eintritt in die erste Förderphase 2014 wurde ein Meilenstein in der öffentlich-privaten Partnerschaft initiiert mit dem Schwerpunkt, die Behandlung von Patienten mit wenigen Metastasen nach einer durchlebten Krebserkrankung, der sogenannten Oligometastasierung, so präzise, minimalinvasiv und zeitlich optimiert wie möglich zu gestalten. Hierfür steht mittlerweile ein einzigartiges Konsortium aus 26 Partnern aus Wissenschaft und Industrie zur Verfügung, die sich hier im M²OLIE-Zentrum an der Universitätsmedizin Mannheim zentriert haben. Der Forschungscampus M²OLIE ist 2024 erfolgreich in die dritte Förderphase eingetreten, die den Weg von der Grundlagenforschung über die Geräte- und Produktentwicklung hin zur klinischen Translation und gleichzeitig zur ökonomischen Verstetigung beschreibt. Abschlussstein dieser strategischen Initiativen bildet die sogenannte M²OLIE-Klinik, in der alle diagnostischen und therapeutischen Prozesse unter Hinzunahme von gerätetechnischen aber auch IT-technischen Innovationen gebündelt werden.
Herr Prof. Dr. med. Steffen Diehl, stellvertretender Direktor der Klinik für Radiologie und Nuklearmedizin der UMM, und Herr Privatdozent Dr. med. Fabian Tollens, Leiter des Ambulanten Radiologischen Zentrums (ARZ), sprechen mit Herrn Prof. Dr. med. Stefan Schönberg, Klinikdirektor der Radiologie und Nuklearmedizin der UMM, über Entwicklung und Zukunft des Forschungscampus M²OLIE. Herr Prof. Dr. med. Diehl ist bereits seit der Initiierungsphase maßgeblich am Aufbau des Forschungscampus beteiligt, Herr Privatdozent Dr. med. Tollens ist seit 2020 im M²OLIE-Campus aktiv.
S: Was macht die geplante M²OLIE-Klinik als Leuchtturmkrankenhaus in seiner Einzigartigkeit aus?
D: Die M²OLIE-Klinik ist eine Kondensierung medizinischer Expertise, modernster Hochtechnologie und interdisziplinärer Zusammenarbeit. Unser Fokus liegt stets auf dem Patienten, insbesondere auf der optimalen Behandlung oligometastasierter Patienten.
S: Der Weg wurde von der Radiologie maßgeblich mitgestaltet, von der Initiierungsphase 2012 über die drei Förderphasen bis heute. Welche technischen und organisatorischen Entwicklungen waren erforderlich?
D: Eine der größten Herausforderungen war es, eine gemeinsame interprofessionelle Sprache zwischen Medizinern, Ingenieuren und Informatikern zu etablieren. Aus früheren Projekten in Sonderforschungsbereichen wissen wir, dass die interdisziplinäre bzw. interprofessionelle Verständigung essenziell für den Erfolg ist. Ein Beispiel ist die Robotik, die in der ersten Phase von M²OLIE im Fokus stand und sich zum Erfolgsmodell entwickelt hat. Mit der Zulassung eines robotischen Assistenzsystems konnte der Schritt zur Kommerzialisierung erreicht werden. Die Stärke des Forschungscampus M²OLIE ist die schnelle Integration neuer Technologien in der interprofessionellen Kooperation. Inzwischen liegt der Fokus auf KI-basierten Verfahren. Erste klinische Studien zeigen vielversprechende Anwendungen der KI im Interventionsraum, insbesondere in den Bereichen der Dosimetrie und der situativen Erkennung von Arbeitsabläufen, auch hier wieder mit dem Ziel der klinischen Translation und Kommerzialisierung.
S: Der Closed-Loop-Prozess mit den in sich geschlossenen Abläufen zwischen Diagnose und Therapie ist ein Alleinstellungsmerkmal des Forschungscampus M²OLIE. Diese Abläufe optimieren Prozesse, lassen aber auch die Integration von Innovationen zu. Wie läuft diese Integration ab, und wie wird der Mehrwert innerhalb des geschlossenen Kreislaufes getestet?
T: Der Schlüssel ist hierbei eine einheitliche IT- und Systeminfrastruktur für alle beteiligten Kooperationspartner. Mit dem M²OLIE-Cockpit und dem ProM²etheus-Prozesssteuerungssystem haben wir sämtliche Datenprozesse integriert und in einem einheitlichen Data Lake und M²OLIE PACS (Picture Archiving and Communication System) zusammengeführt. Dies ermöglicht allen akademischen und industriellen Partnern einen effizienten Zugriff auf eine Ground Truth auf Grundlage der etablierten Schnittstellen zur Klinik-IT. Die Migration dieser Systemarchitektur in die Klinik-IT, inklusive der Etablierung der Schnittstellen, stellt dabei ein Alleinstellungsmerkmal dar. Damit ist es uns möglich, mit dem Krankenhausinformationssystem (KIS) zu interagieren und zukünftig auch neue innovative Werkzeuge in den Prozess aufzunehmen.
S: Das robotische Assistenzsystem wurde in einer private public partnership aus mehreren industriellen und wissenschaftlichen Partnern konzipiert, entwickelt, in der Klinik im Rahmen einer Studie eingesetzt und jetzt tatsächlich erstmals kommerzialisiert. Welche weiteren Produkte mit readiness level 8 oder 9 sind besonders interessant?
T: In den Anfangsjahren von M²OLIE wurde die digitale Patientenaufklärung entwickelt, welche heute in ähnlicher Form bereits in vielen Versorgungseinrichtungen verwirklicht ist, sowohl im ambulanten als auch im stationären Setting. Weiterhin stellen moderne Bildverarbeitungswerkzeuge zur Verbesserung der Biopsieplanung und -durchführung vor allem für weniger erfahrene Anwender und Zentren mit geringerem Patientenvolumen eine wichtige Option dar. Ein Beispiel ist die Fusion zwischen multimodalen Bildinformationen einer MRT und einer CT und die unterstützte Biopsieplanung unter Aussparung vulnerabler oder kritischer Strukturen bei gleichzeitig zielgerichteter Ansteuerung des Tumorherdes.
S: Die M²OLIE-Klinik hat die Funktion eines „Leuchtturmkrankenhauses“. Wir haben gleichzeitig im Rahmen des Versorgungsverstärkungsgesetzes die große Herausforderung, auch in der Fläche die Versorgung sicherzustellen. Welche Möglichkeiten bestehen, den M²OLIE-Prozess unabhängig vom zentralen Entwicklungszentrum in Mannheim auch anderen Krankenhäusern anzubieten?
D: Entscheidend ist, den beschriebenen Workflow auf eine professionelle Plattform zu transferieren und zu kommerzialisieren. Die Grundlage für die Implementierung an anderen Häusern bildet die Integration aller von uns etablierten Verfahren im Closed-Loop. Die große Herausforderung besteht derzeit in der Sicherstellung der Kompatibilität mit bereits in anderen Häusern vorhandenen Systemen; eine flexible Anpassung an verschiedene Krankenhausstrukturen ist essenziell, um eine breite Implementierung zu ermöglichen. Der Bedarf besteht, da aufgrund der neuen Gesetzgebung Zentren ein hohes Patientenvolumen vorweisen müssen, um die jeweiligen Eingriffe weiterhin anbieten zu können und konkurrenzfähig zu bleiben.
S: Neben dem Transfer etablierter Technologien aus M²OLIE ist es auch wichtig, die Forschung voranzubringen. Im Rahmen der M²OLIE-Klinik soll ein einzigartiges interventionelles MRT-Zentrum entstehen. Welche Vorteile bringt dieses System mit sich?
T: Die Entwicklung der Niederfeld-MRT eröffnet neue Anwendungsbereiche für die interventionelle Radiologie. Das MRT ermöglicht eine hochpräzise, strahlenfreie Intervention durch den verbesserten Gewebekontrast. Eine Besonderheit des interventionellen MRTs ist der vergrößerte Zugang im Vergleich zu herkömmlichen MRT-Systemen. Die niedrigere Feldstärke von beispielsweise 0,55 Tesla erlaubt die Anwendung interventioneller radiologischer Werkzeuge, ohne dabei auf die Vorteile der MRT-Bildgebung mit verbessertem Gewebekontrast verzichten zu müssen.
S: Was ist das medizinische und prozedurale Ziel bei der Versorgung von Patienten mit Oligometastasierung?
Unser Ziel ist es, Krebserkrankungen mit wenigen Metastasen in eine chronische, aber gut behandelbare Erkrankung zu überführen. Dies geschieht durch eine Kombination verschiedener therapeutischer Verfahren, ergänzt durch molekulargenetische Ansätze. Die targeted therapy im Konzept der personalisierten Onkologie wird hierbei eine entscheidende Rolle spielen, auch wenn wir das Auftreten von Resistenzen erwarten. Durch gezielte Therapien können wir diesen entgegenwirken, ohne wie bisher das gesamte Behandlungskonzept umstellen zu müssen. So kann ein gut verträgliches und erfolgreiches Therapieregime weiter durchgeführt werden und nur die Läsionen ohne gutes Therapieansprechen werden dann gezielt angegangen. Am Ende geht es darum, die Überlebensrate zu steigern und die Lebensqualität der Patienten nachhaltig zu verbessern.