Datenintelligenz statt Datenflut: Wie die Klinik für Radiologie und Nuklearmedizin die digitale Zukunft gestaltet

Prof. Dr. med. Nils Rathmann
Prof. Dr. med. Nils Rathmann

Leitender Oberarzt der Klinik für Radiologie und Nuklearmedizin, Leiter des Geschäftsfeldes Evidenz in interventioneller Radiologie

Prof. Dr. med. Dominik Nörenberg
Prof. Dr. med. Dominik Nörenberg

Leitender Oberarzt und Leiter Allgemeinradiologie

Die Radiologie befindet sich im Zentrum des digitalen Wandels der Medizin – als Schnittstelle zwischen Technik, klinischer Versorgung und wissenschaftlicher Innovation. In unserer Klinik für Radiologie und Nuklearmedizin der Universitätsmedizin Mannheim (KIRN) wurden in den vergangenen fünf Jahren mit folgenden Innovationen visionäre Weichen gestellt: die Etablierung eines neuen Vendor Neutral Archives (VNA), die derzeit laufende Integration eines neuen innovativen PACS-Systems, die Verstetigung der strukturierten Befundung, KI-gestützte Bildanalysen sowie eine überregionale, datenschutzkonforme Infrastruktur (TDHP-Plattform).

Durch die technologische Affinität der Radiologie ergeben sich vielfältige Chancen, innovative digitale Lösungen wie Künstliche Intelligenz (KI) sowie moderne RIS-/PACS-Systeme produktiv zu integrieren. Insbesondere in den Bereichen Bildgebung, Datenmanagement und strukturierte Befunderstellung eröffnen sich dadurch neue Dimensionen der Effizienz und Präzision.

Die Implementierung KI-gestützter Werkzeuge zur Erstellung strukturierter Befunde verspricht nicht nur eine signifikante Workflow-Optimierung, sondern auch eine präzisere Diagnostik. Bildanomalien können automatisiert detektiert, triagiert und relevante Messungen unmittelbar durchgeführt werden – mit dem Potenzial, erhebliche zeitliche und personelle Ressourcen einzusparen.

Strukturierte Befundsysteme ermöglichen standardisierte, maschinenlesbare Daten. Diese bilden die Grundlage für KI-gestützte Analysen, klinische Forschung und eine lernende Systemmedizin. Die KI-Integration erfolgt dabei nahtlos und unterstützt Ärzte in ihrer Entscheidungsfindung, ohne diese zu ersetzen.

KI-Ergebnisse lassen sich direkt in PACS-Viewer integrieren, wodurch sich Arbeitsprozesse weiter verschlanken und die interdisziplinäre Kommunikation signifikant verbessern lässt. In diesem Kontext eröffnen sich auch neue Formen der strategischen Partnerschaft mit Technologieanbietern, um Innovation gemeinsam weiterzuentwickeln und Versorgungsqualität wie Effizienz nachhaltig zu steigern.

An der Universitätsmedizin Mannheim (UMM) wurde hierfür eine überregionale Kooperation mit dem Klinikum Ludwigshafen – einem Maximalversorger in Rheinland-Pfalz – initiiert. Ziel ist der Aufbau einer integrierten, standortübergreifenden Datenmanagementlösung, die höchste medizinische Versorgungsqualität zukunftssicher garantiert.

Prof. Dr. med. Nils Rathmann, Leitender Oberarzt der Radiologie, trägt die Verantwortung für zentrale Bereiche: von der interventionellen Radiologie, über Personal- und Budgetentwicklung aufseiten der Medizinischen Fakultät bis hin zur medizinischen Leitung des Ausbaus des sogenannten Vendor Neutral Archives (VNA).

Im folgenden Interview diskutieren Prof. Dr. med. Nils Rathmann und Prof. Dr. med. Dominik Nörenberg, Leitender Oberarzt und Leiter des Geschäftsfelds für medizintechnische Innovation und Translation, gemeinsam mit Klinikdirektor Prof. Dr. med. Stefan Schönberg die Potenziale, Herausforderungen und strategischen Perspektiven der digitalen Transformation in der KIRN.

Wie hat sich die Radiologie an der UMM in den letzten Jahren digital weiterentwickelt?

R: Unsere Radiologie ist hochmodern aufgestellt und setzt bereits seit vielen Jahren konsequent auf digitale Lösungen. Wir arbeiten mit einem umfassenden PACS (Picture Archiving and Communication System), ergänzt durch ein integriertes RIS (Radiologie-Informationssystem). Für die Bildbefundung nutzen wir derzeit ein additives System zur Bildanzeige.

Die derzeitige Anbindung unseres neuen PACS mit der gleichzeitigen RIS-Ablöse als PACS-only-Workflow sowie der Aufbau einer interoperablen KI-Infrastruktur markieren den Wandel von der rein bildverarbeitenden Einheit hin zur datenzentrierten Gesamtanalyse. Die Radiologie ist heute integraler Treiber einer patientenzentrierten, datenbasierten Medizin und einer Wissensplattform.

Warum erscheinen die etablierten Lösungen inzwischen nicht mehr ausreichend? Die Einführung eines neuen VNA-Systems mit integrierten Bild- und Befundungslösungen wirkt auf den ersten Blick äußerst planungsintensiv – gerade angesichts der Vielzahl an Anbietern.

R: Das ist richtig: Die Implementierung ist komplex und verlangt ein strukturiertes Vorgehen. Doch mit dem Fortschritt, insbesondere im Bereich der KI, ergeben sich neue Anforderungen an bestehende Systeme. Zwar legen viele Anbieter inzwischen Wert auf eine flexible Anbindung an bestehende IT-Strukturen, doch diese waren ursprünglich nicht für solche Integrationen konzipiert. Die Folge ist ein erheblicher IT-technischer Mehraufwand oder nur eingeschränkte Funktionalität. Für den klinischen Alltag ist das suboptimal, denn niemand möchte ständig zwischen verschiedenen Fenstern und Anwendungen hin- und herwechseln. Ziel muss es sein, in einem konsistenten, integrierten Workflow arbeiten zu können.

Ein Vendor Neutral Archive (VNA) ist ein zentrales Archivierungssystem zur Speicherung medizinischer Bilddaten und zugehöriger Dokumente in einem standardisierten Format. Es ermöglicht den Zugriff auf diese Daten über verschiedene IT-Systeme und Abteilungen hinweg, fördert die Interoperabilität und vermeidet die Abhängigkeit von einem einzelnen Anbieter. VNAs sollen den Workflow optimieren, Kosten senken und die Patientenversorgung durch einen einfachen und einheitlichen Zugriff auf medizinische Informationen verbessern.

Wo sehen Sie in diesem Zusammenhang die besonderen Potenziale der integrierten Bild- und Befundungslösung?

R: Die Kombination aus VNA mit Bildbefundung bildet eine patientenzentrierte, zukunftsorientierte Datenplattform. Sie zentralisiert sämtliche Bilddaten – DICOM und Nicht-DICOM – und macht sie maschinenlesbar. Für eine Universitätsklinik bedeutet das neben der klinischen Verfügbarkeit: Forschende Radiolog:innen erhalten einfachen, systemübergreifenden Zugriff auf multimodale Datenströme – von der Pathologie bis zur Kardio-MRT.

Welche konkreten Vorteile ergeben sich dadurch für die klinische Routine?

R: Die Integration erlaubt automatisierte, Workflow-basierte Prozesse. Beispielsweise können KI-Algorithmen akute CT-Thorax-Befunde priorisieren oder Tumorvolumina automatisch vermessen. Die strukturierte Befundung reduziert den Dokumentationsaufwand um bis zu 90 % und stellt gleichzeitig qualitativ hochwertige Verlaufsdaten zur Verfügung. Ein weiteres Plus ist der ortsunabhängige Zugriff auf Bild- und Befunddaten – etwa für Tumorboards oder telemedizinische Konsile.

Welche medizinischen Vorteile bietet die strukturierte Befundung?

N: Die strukturierte Befundung, die wir seit fast zehn Jahren via Tools von Smart Reporting abbilden, bringt klare Vorteile: Sie erhöht die Standardisierung, verbessert die Nachvollziehbarkeit und stärkt die Kommunikation mit zuweisenden Kolleg:innen. Die intelligent aufgebauten Templates leiten durch die Befunderstellung, stellen sicher, dass alle relevanten Parameter erfasst und keine entscheidenden Informationen übersehen werden. Das steigert nicht nur die Befundqualität, sondern spart auch erheblich Zeit, vorrangig bei komplexen Fällen.

Die strukturierte Befundung ist ein systematischer Ansatz zur Erstellung von radiologischen Berichten. Befunde werden in vordefinierten Kategorien und mit standardisierter Terminologie erfasst. Dies erhöht die Klarheit, Vollständigkeit und Vergleichbarkeit der Informationen. Durch die Verwendung von Vorlagen und Auswahlmöglichkeiten wird die Konsistenz der Berichte verbessert. Die strukturierte Befundung erleichtert die Datenanalyse, die Qualitätssicherung und die Integration in andere klinische Systeme, was letztendlich die Kommunikation zwischen den Ärzten und die Patientenversorgung optimiert. Zuweiser erhalten Befunde in gleichbleibendem Format mit allen relevanten und dem aktuellen Standard entsprechenden Informationen.

An der KIRN wird auch intensiv zur Anwendung von KI in der Radiologie geforscht. Welche Einsatzfelder haben sich dabei konkret herauskristallisiert?

R: Wir sind im Bereich KI sehr aktiv. Aktuell nutzen wir entsprechende Tools primär zur Detektion von Läsionen in verschiedenen Modalitäten, etwa zur Erkennung von Lungenrundherden in der CT. Darüber hinaus evaluieren wir Anwendungen zur automatisierten Organ-Segmentierung sowie KI-Unterstützung bei komplexen onkologischen Befunden. Ein besonders vielversprechendes Feld ist die dynamische Priorisierung der Untersuchungsliste („workflow prioritization“).

Wo sehen Sie den größten Nutzen durch KI?

N: In der präzisen Assistenz. KI hilft bei der Segmentierung, Triagierung und Priorisierung. Bei uns wird z.  B. bereits eine KI zur Detektion von Frakturen in Echtzeit genutzt, sodass die Triagierung gefördert wird und die Wartezeiten in der Notaufnahme reduziert werden. Die Algorithmen sind eingebettet, nicht additiv – das ist entscheidend für die Akzeptanz und Effizienz im klinischen Alltag. Die KI assistiert, aber sie ersetzt keine medizinische Entscheidung; das bleibt Aufgabe der ärztlichen Expertise.

Welche Rolle spielt die überregionale Kooperation mit dem Klinikum Ludwigshafen in Bezug auf das VNA?

R: Diese Partnerschaft ist von strategischer Bedeutung. Die gemeinsame Integration eines Vendor Neutral Archives über zwei Standorte hinweg bringt erhebliche Vorteile, vor allem hinsichtlich Effizienz, Versorgungsqualität und wirtschaftlicher Nachhaltigkeit. Durch die Standardisierung von Prozessen und Datenformaten wird die Interoperabilität gestärkt. Zudem lassen sich spezialisierte Leistungen besser koordinieren. Für universitäre Einrichtungen bedeutet die gemeinsame Datenbasis zudem Zugang zu größeren, vielfältigeren Datensätzen – eine wichtige Voraussetzung für multizentrische Studien und die Weiterentwicklung von KI-Modellen. Diese Art der Kooperation steht exemplarisch für eine vernetzte, zukunftsorientierte Gesundheitsversorgung.

Welche Rolle spielt dabei die TDHP-Plattform (Teamplay Digital Health Platform)?

R: Die TDHP ist der zentrale Knotenpunkt für die datengestützte Gesundheitsversorgung und das Rückgrat unserer Datenstrategie. Sie erlaubt die sichere, skalierbare Verbindung zwischen medizinischen Akteuren, Anwendungen und Datenquellen, um föderierte KI-Modelltrainings, rollenbasierte Zugriffe und revisionssichere Datenflüsse zu ermöglichen.

Wie gelingt die Balance zwischen Datenschutz und Innovationsdrang?

R: Wir arbeiten strikt gemäß DSGVO und setzen auf pseudonymisierte Datenräume. Entscheidend ist, dass Datenschutz nicht als Innovationshemmnis verstanden wird, sondern als struktureller Bestandteil vertrauensvoller digitaler Medizin.

Was ist essenziell für die digitale Transformation der Radiologie?

N: Drei Dinge: Datenintegration, Workflow-Intelligenz und interdisziplinäre Kollaboration. Der Radiologe wird zunehmend zum Data Steward – er versteht nicht nur Bilder, sondern auch Zusammenhänge. Dafür braucht es einheitliche Systemlösungen, kein Insellösungsdenken mehr.

Welche Lehren kann man aus den letzten fünf Jahren für die Zukunft ziehen?

Technologie ist kein Selbstzweck. Sie muss klinische Relevanz haben, intuitiv nutzbar sein und von den Mitarbeitenden getragen werden. Unsere Investitionen in digitale Infrastruktur zahlen sich heute durch bessere Diagnostik, schnellere Abläufe und mehr Zeit für den Patientenkontakt aus.

Was ist Ihre strategische Vision für das Jahr 2030?

N: Die Radiologie ist bis 2030 vollständig in eine multidisziplinäre Datenlandschaft eingebettet. Wir werden interaktive Befundungssysteme haben, die Echtzeitdaten, Labordaten und Genomik einbeziehen. Jeder Radiologe wird mit einem digitalen Assistenten arbeiten. Entscheidungen werden datengetrieben, evidenzbasiert und situativ personalisiert getroffen. Unsere Infrastruktur muss skalierbar, resilient und offen für Innovationen bleiben.

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